Der Meerstinz
Beim Besuch eines Apothekenmuseums rechnet man sicher mit vielem: Standgefäße zur Aufbewahrung von Salben, Tablettenschachteln aus vergangenen Zeiten oder Geräte zur Herstellung verschiedener Arzneiformen. Ein getrocknetes Reptil erwartet man aber wohl eher in der zoologischen Abteilung eines Naturkundemuseums.
Der in unserem Museum ausgestellte Meerstinz (lat. Stincus marinus) gehörte bis ins 19. Jahrhundert zum üblichen Sortiment der deutschen Apotheken, weshalb er auch bis heute gemeinhin als Apothekerskink bezeichnet wird.
Es handelt sich hierbei um eine hellbraune, kurzbeinige, bis 20 cm lang werdende Echse, die erstmals 1758 von dem schwedischen Naturforscher Carl von Linné wissenschaftlich beschrieben wurde. Sie ernährt sich hauptsächlich von Käfern, Heuschrecken und anderen kleineren Insekten, denen sie im Sand vergraben auflauert.
In der „Enzyklopädie der Volksmedizin“ aus dem Jahr 1843 bezeichnet der deutsche Mediziner und Gelehrte Georg Friedrich Most die aus Nordafrika und von der Arabischen Halbinsel stammende Sandechse als „bedeutendes Aphrodisiakum, [das] besonders die Geschlechtslust bei jungen Frauenzimmern [anregt]“. Bereits damals war vielen Heilkundigen diese Anwendung sehr suspekt. Schon im Jahr 1793 urteilte der Arzt und Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann in seinem Apothekerlexikon: „In der Sonne getrocknet und gepülvert ist dieses Thier zu einem Quentchen als ein Geschlechtstrieb beförderndes Mittel von unseren Vorfahren (leichtgläubig genug) angewendet worden. Der Vorzug, den Einige bald dem Schwanze, bald dem Kopfe, bald den Füßen u.s.w. gaben, war ebenso lächerlich.“ Diese ablehnende Haltung gegenüber einer medizinischen Anwendung des kleinen Reptils und eine Verbannung derselben ins Reich der Quacksalberei setzte sich spätestens bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert durch, sodass die Meerstinzpräparate vollständig aus dem Apothekensortiment verschwanden und heute nur noch im Museum bestaunt werden können.
Meerstinzpräparate, konserviert in Lavendeblüten, Spanholzschachtel, um 1900, Alte Apotheke Plauen